Umschlossen von Musik

Deutsch

Vor 250 Jahre wurde der bedeutendste deutsche Dramatiker, Friedrich Schiller, geboren. Sein Werk gehört Europa, nicht nur der Text der Europahymne, auch seine Stücke sind universell und daher überall zu Hause. Eine Kooperation zwischen den beiden benachbarten Häusern, dem Ungarischen Nationaltheater und dem Palast der Künste in Budapest brachte jetzt eine außergewöhnliche und gelungene Inszenierung der "Kabale", einen würdigen Geburtstagsgruß hervor.
 
 
Die Mitglieder des Óbudaer Danubia Orchesters sind so auf der Bühne platziert, dass zwischen ihnen mal schmalere, mal breitere Gänge bleiben, in denen die Schauspieler sich bewegen können. Der erhöhte Stuhl des Dirigenten und dessen Notenständer dienen nicht nur zur Leitung des Orchesters, sondern bilden auch das Zentrum der Abwicklung des Dramas, die wesentlichen Momente konzentrieren sich hier. Das Orchester ist also ein lebendes Bühnenbild, Teil des Bühnenspiels, es übernimmt selbst eine Rolle. Die Schauspieler schieben von Zeit zu Zeit entweder den Dirigenten István Silló oder einen der Musiker beiseite, um auf deren Platz sitzend den eingeengten Raum des Spiels zu erweitern. Als von Walter eintritt, erheben sich die Musiker ehrerbietend. Die Schauspieler beziehen sie in das Spiel mit ein, indem sie sich ihnen mehrfach zuwenden, als wenn sie sich mit ihren Sätzen direkt an sie wenden würden und so die verbleibenden Monologe auflösen. Der Dirigent übernimmt die Rollen des Kammerherrn und des Dieners, meldet die ankommenden Gäste an usw.
 
Vorrangige Aufgabe des Orchesters ist natürlich das Musizieren. Regisseur, Robert Alföldi und Dramaturg Róbert Vörös haben das Werk radikal zusammengezogen, viele Monologe oder Repliken gekürzt, die Situationen wurden auf das Wesentliche beschränkt, so dass ein heute schwer zu vermittelndes Pathos, die Affektiertheit und Geschwätzigkeit verschwand. Als gefühlsmäßiges Gegengewicht diente die einen organischen Bestandteil des Stücks bildende Musik. Máté Bella komponierte ein raffiniertes, die Töne des 18.Jh. mit denen von heute verbindendes Stück; nicht Begleitmusik, sondern entscheidendes Element der Dramaturgie: es charakterisiert die Rollen, kündigt Situationen an und betont diese, wodurch die Vorstellung sozusagen in die Dimension einer Oper übergeht. Lebendigstes Beispiel für den Zusammenhang von Musik und Drama sind die Szenen, als der kecke Hof-Nichtsnutz die Gesangsrolle des von Kalb übernimmt, bzw. als Ferdinand in der Streitszene mit Luise in seiner ohnmächtigen Wut nicht die Geige nimmt und darauf übt ? wie es der Verfasser vorschreibt -, sondern sich vor das Orchester stellt und immer heftiger, immer verstörter die schneller werdende Partitur dirigiert. 
 
 
Der tatsächliche und der musikalische Raum machen den realistischen Ausdruck des Dramas unmöglich. Da die Möglichkeiten zur Bewegung und Ortsveränderung minimal sind, wirkt die Interpretation des Textes um so stärker. Alföldi befreit die Situationen jeglichen Schwulstes und lässt seinen Regieideen nur hier und dort Raum. In diesem Medium beschränkt sich das Spiel der Schauspieler auf das Wesentliche, den diese inszenierte oratorische Form erfordert die sehr konzentrierte und intensive Darstellung der Situationen und dieser Anforderung werden die Mitglieder des Schauspielensembles absolut gerecht. 
 
Der Miller von Frigyes Hollósi verkörpert den widersprüchlichen Charakter des selbstbewussten kleinen Mannes. Gegenüber seiner Tochter und seiner Frau tritt er gleichzeitig hart und nachsichtig auf. Gegenüber Wurm beträgt er sich selbst genauso, wie seine viel beschimpfte Ehefrau, aber als der Ministerpräsident ihn beleidigt und er diesen deshalb seines Hauses verweist, wird er zum tragischen Held ohne Pathos, um dann ein paar Szenen später verzaubert durch das von Ferdinand erhaltene Gold wieder zum Kleinbürger zu werden. In der Frau Miller von Piroska Molnár ist nicht die Rangsucht entscheidend, sondern die Gutmütigkeit, wie sie sich das Schicksal ihrer Tochter vor Augen hält. Sie wirkt geheimnisvoll, gar nicht mehr geschwätzig, weiß mehr, als sie sagt. Es ist eine schwierige Rolle, die das Ende der Vorstellung krönt: nach dem Tod der jungen Leute tritt Piroska Molnár langsam zwischen die beiden entsetzten Väter und singt eines der Kindertotenlieder von Mahler.
 
 
In der Rolle der Lady Milford glänzt Juli Básti, sie zeigt mit Gefühl alle Nuancen der Rolle, die weibliche Schwäche, Ausgeliefertheit, Liebe, Macht, Selbstaufopferung. Ihr Kammerfräulein, Sophie, wird von Kata Gáspár gespielt. Gábor Hevér macht auf zurückhaltende Weise die Figur des Wurms bedeutend. Die im Kontratenor geschriebene Partie des von Kalbot wird von André Vásáry gesungen und gespielt - und zwar phantastisch. Nur er trägt ein Kostüm jener Zeit und eine weiße Perücke. Ágnes Gyarmathy kleidet alle anderen in stilisierte, das 18.Jh. nur andeutende Kostüme. Kulka János zeigt in von Walter einen selbstgefälligen, seine Stellung für unantastbare haltende, sich selbst jedoch alles erlaubende, etwas hysterische Person eines Realpolitikers, dem jede Spur von Gefühl fehlt. Sogar seine Erschütterung zum Schluss ist nicht echt. Nicht etwa der allmächtige Intrigant, sondern ein großer Nichtsnutz versteckt sich im Ministerpräsidenten von Kulka.
 
 
Ferdinand und Luise sind die schwersten aber natürlich auch die dankbarsten Rollen in Schillers Werk. Ich habe noch keine Aufführung von Kabale und Liebe gesehen, in der ? auch wenn sie insgesamt nicht erfolgreich war ? ihre letzte Szene keine echte Erschütterung auslöste, bis dahin jedoch müssen sie durch viele leidenschaftliche Szenen. Das Paar Zalán Makranczi und Eszter Bánfalvi umgehen jede Art von Sentimentalität. Beide stellen junge Menschen mit dem Temperament der heutigen Zeit dar, in denen Gefühle, Leidenschaften und wilde Affekte gleichzeitig wühlen. Ihr Tod, ihr Verschmelzen ist der schöne, abschließende Moment des Stücks. 
 
István Nánay / Übersetzung: Birgit Torjai / Bearbeitung: Pester Lloyd
 
Weitere Vorstellungen am 6. und 7. Dezember (in ungarischer Sprache, aber für textinformierte Ausländer sicher zu empfehlen). Weitere Infos und Karten www.mupa.hu